Steppenkunst

Steppenkunst
Steppenkunst,
 
die Kunst der eurasiatischen Reiternomaden im Steppengürtel von Europa bis Ostasien, etwa zwischen dem 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. und dem Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. Die Steppenkunst hängt mit der Ausbildung des Reiternomadentums zwischen Karpaten im Westen und Chingan im Osten seit dem frühen 1. Jahrtausend v. Chr. zusammen. Obwohl um Weideplätze immer wieder Kriege zwischen den teils verwandten, teils ethnisch unterschiedlichen, teils wohl auch gemischten Stämmen ausbrachen, ist doch von einer kulturellen Einheit mit mehr oder weniger stark ausgebildeten lokalen Besonderheiten auszugehen. Deshalb werden Bezeichnungen wie »skythischer Tierstil« oder auch »skythische Kunst« undifferenziert häufig für die gesamte oder große Teile der eurasiatischen Steppenkunst und des eurasiatischen Tierstils verwendet. Unterschieden werden können jedoch v. a. die skythische Kunst (wozu auch die Arbeiten der Maioten am Kuban gerechnet werden), die Kunst der Altainomaden (Altaiskythen) im Hochaltai und den angrenzenden Steppengebieten, die südsibirische Steppenkunst (Kasachstan), die Steppenkunst im Minussinsker Becken (Tagarkultur) und im Tuwa-Bergland (u. a. mit dem Arschan-Kurgan) sowie die Steppenkunst nomadischer Sakenstämme. Das kultisch überhöhte Königtum benachbarter Hochkulturen wurde von den Reiternomaden übernommen. Es entstanden typische Denkmäler (Hügelgräber und Menhire) mit reichen fürstlichen Bestattungen (mit Gefolgschaftsbestattungen) sowie ein Dekorationssystem im »skythischen Tierstil« für persönlichen Schmuck, Waffen und Zaumzeug. Im Altai blieben nicht nur Gold- u. a. Metallarbeiten, sondern auch vergängliche Materialien, z. B. prachtvolle Pferdeschabracken, im Dauerfrostboden erhalten (Pasyryk); Gewebe und Leder wurden farbenprächtig im Tierstil geschmückt, der nicht Bewegung, sondern spannungsgeladene Fähigkeit zur Dynamik ausdrückt. Posen wie Hochklappen des Hinterleibes (Inversion) sind durch den Einfluss einer abstrakten Ornamentik mit Voluten und S-Spiralen zu erklären. Die wichtigsten Motive stammen aus dem Vorderen Orient, jedoch kommen im Osten auch chinesische Motive vor. Da die Steppenkunst fast überall bereits im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. ausreift, ist ein Diffusionszentrum schwer zu ermitteln. Der Tierstil der Steppenkunst trat anscheinend gleichzeitig in Nordiran, im Kubangebiet (Maioten) und bei den Skythen am Dnjepr auf. In den letzten Jahrhunderten v. Chr. wich der Tierstil anderen Dekorationssystemen, z. B. in der sarmatischen Kunst. Die Weiterverwendung einzelner Motive ist in der Taiga, im Ordosgebiet (Hauptgruppe der Ordosbronzen) und in Tibet belegt. Die Kunst der Hanzeit Chinas übernahm viele Motive der Steppenkunst. Verschiedene Dynastien nomadischer Herkunft tradierten Motive der Steppenkunst und bewahrten kostbare Werke (Goldfund von Tillja-Tepe in Baktrien, 1. Jahrhundert n. Chr.).
 
 
K. Jettmar: Die frühen Steppenvölker (1964).
 
Weitere Literatur: skythische Kunst.

Universal-Lexikon. 2012.

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